Weniger Bürokratie, mehr Tempo, mehr Wohnraum und mehr energetische Sanierungen. Ob ein politischer Neustart gelingt, werden die ersten 100 Tage im Amt der neuen Bauministerin zeigen. Verena Hubertz gilt als technisch aufgeschlossen und fachlich versiert. Ihre Erfahrungen als Startup-Unternehmerin und als stellvertretende Fraktionsvorsitzende mit Zuständigkeit für Bauen, Wohnen und Klima klingen für die Baubranche vielversprechend.

In einem Interview mit dem Geschäftsführer des Deutschen Instituts für vorbeugenden Brandschutz Axel Haas und dem Brandschutzexperten Ralf Abraham wird deutlich, wo es im Koalitionsvertrag noch Verbesserungsbedarf gibt und welche Probleme die Bauministerin beim Abbau der Baubürokratie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit in Zusammenarbeit mit den Ländern angehen sollte.

Herr Haas, was finden Sie im Koalitionsvertrag gut, wo muss noch nachgebessert werden?

Axel Haas: Der Koalitionsvertrag setzt mit der BauGB-Reform, steuerlichen Anreizen für Sanierungen und dem Ziel der digitalen Baugenehmigung wichtige Impulse für den Wohnungsbau. Diese Ansätze gehen in die richtige Richtung, vor allem, wenn sie tatsächlich auch kleinere Bauvorhaben und den Bestand erreichen. Gleichzeitig bleiben entscheidende Leerstellen: Die föderale Zersplitterung des Baurechts mit 16 unterschiedlichen Bauordnungen wird nur am Rande thematisiert, obwohl sie eines der größten Strukturprobleme ist. Und bei der Digitalisierung mangelt es weiterhin an flächendeckender Umsetzung und verbindlichen Standards.

Herr Abraham, Sie kommen durch Ihre Arbeit mit dem zerstückelten Baurecht in Berührung. Wie bremst die Bürokratie die Bauwirtschaft?

Ralf Abraham: Die Lage wird durch das föderale Bauordnungsrecht verkompliziert: Denn in Deutschland regelt jedes der 16 Bundesländer seine eigene Landesbauordnung, inklusive teils deutlich voneinander abweichender Anforderungen im Brandschutz. Das bedeutet: Ein identisches Bauvorhaben kann bzw. muss je nach Standort unterschiedlich bewertet und genehmigt werden. Dabei existiert mit der Musterbauordnung des Bundes (MBO) bereits ein Orientierungsmaßstab für die Bundesländer. Diese wurde zwar zu einem Großteil durch die Bundesländer übernommen, doch gerade die kostentreibenden Regelungen zum Brandschutz wurden oftmals sehr unterschiedlich festgeschrieben. Beispielhaft müssen Fenster, die als Rettungswege dienen, in Bayern 60cm breit sein, in Niedersachsen 90cm. Es stellt sich also mithin die Frage, ob denn nun in Bayern die Feuerwehrleute eine andere Statur haben als in Niedersachsen. Eine stärkere Angleichung der Landesbauordnungen an die Musterbauordnung wäre folgerichtig ein zentraler Hebel, um Verfahren zu vereinfachen und Planungsrisiken zu verringern. Doch in den aktuellen politischen Gesprächen bleibt dieses Thema bislang Randnotiz.

Können Sie das an einem konkreten Beispiel in der Praxis festmachen?

Ralf Abraham: Besonders sichtbar wird das Problem beim vorbeugenden Brandschutz: Zwar ist er dieser als präventives Instrument wichtig, doch im Genehmigungsverfahren sorgt sorgen restriktive Handhabungen er regelmäßig für Verzögerungen und Mehrkosten. Ein zentrales Beispiel ist die sogenannte Rücknahmefiktion (§ 69 Abs. 2 MBO): Wird ein Bauantrag, sogar ohne hinreichende Rechtsgrundlage, als unvollständig bewertet, kann ihn die Behörde ohne jegliche Begründung oder gar Bescheid nach einer Frist von 3 Wochen als „zurückgenommen“ werten. Ohne Widerspruchsrecht. Die Folge: Planungsunsicherheit, Mehraufwand, finanzielle Risiken, Projektabbrüche. Die Rücknahmefiktion ist hierbei Symptom einer größeren Problematik, werden selbst einfache Umbaumaßnahmen wie im Wohnungsbau werden durch erfundene Nachweisforderungen oftmals somit faktisch zu Sonderbauten. Zusätzliche Gutachten, Nachrüstungen oder Anpassungen im vormals genehmigten Bestand können Projekte erheblich verteuern oder verhindern.

Herr Haas, was erwarten Sie von Ministerin Hubertz?

Die Herausforderungen im Bausektor sind erkannt, aber erkannt heißt noch nicht gelöst. Wir als DIvB begrüßen es ausdrücklich, dass die neue Regierung diese Aufgaben nun anpacken will. Die Zeit drängt. Ministerin Hubertz hat gleich zu Beginn ihrer Amtszeit betont, dass wir wieder mehr in die Sanierung unserer Infrastruktur und in den Wohnungsbau investieren müssen. Da hat sie vollkommen recht: Die Bagger müssen wieder rollen, meint sie. Dem stimme ich voll zu.

Es darf aber nicht übersehen werden, dass auch die verkrusteten Strukturen in der Baubürokratie gelöst werden müssen. Hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern gefragt. Die Ministerin sollte auch diesen Reformprozess im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv vorantreiben.

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