An:
Konferenz der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen
zuständigen Minister und Senatoren der Länder (ARGEBAU)
An den Vorsitzenden der Fachkommission Bauaufsicht,
Ltd. Ministerialrat Kraus
Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr
Postfach 22 12 53
80502 München
Sehr geehrter Herr Ministerialrat Kraus,
im Namen des Deutschen Instituts für vorbeugenden Brandschutz e.V. (DIvB) bedanken wir uns bei der Fachkommission Bauaufsicht herzlich für Ihre Antwort vom 21.07.2023 zu unserem „2. Offenen Brief zur Umbauordnung“, in dem wir gemeinsam mit Architects4Future (A4F) auf vorhandene Ermessensspielräume im Verwaltungshandeln hinwiesen.
Ihre Klarstellung „Sofern bautechnische Nachweise der Standsicherheit und des Brandschutzes nach den jeweils geltenden landesrechtlichen Vorschriften nicht prüfpflichtig sind, sind diese nicht notwendiger Bestandteil des Bauantrags und können sich hieraus keine Mängel des Bauantrags ergeben“ wäre schon die Lösung der von uns dargestellten Probleme wie das Vermischen unterschiedlicher Verwaltungsakte, der Verweis an nachrangige Stellen und die Durchsetzung untergesetzlicher Regelungen.
Dies setzt jedoch voraus, diese würde von den obersten Bauaufsichtsbehörden der jeweiligen Länder bis hin zur unteren Bauaufsicht hinreichend kommuniziert und durchgesetzt.
Ihre Empfehlung, Bauherrinnen und Bauherren könnten stattdessen Verpflichtungsklagen gegen fingierte Rücknahmefiktionen einreichen, unterschätzt, dass diese innerhalb zeitkritischer Bauantragsverfahren in einer deutlich schlechteren Position sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn Baubehörden aufgrund ihrer im Vergleich zum Antragssteller stärkeren Position auf Zeit spielen. Darüber hinaus führen Klagen gegen Symptome bei bis zu dreijährigen Prozessen oftmals zum vorzeitigen „Aus“ des Bauvorhabens – bei vollem Risiko für den Bauherren, und ohne jegliche Risiken oder eine Haftung für die Verwaltung.
Ursache
Es erscheint uns daher erforderlich, erneut auf die Ursachen hinzuweisen, um darzulegen, wie untergesetzliche Regelungen weiterhin ihren Weg in die Bauantragsverfahren finden. Als Beispiel verweisen wir auf eine aktuelle und typische behördliche Argumentationskette für den derzeitigen Umgang mit dem genehmigten Bestand am Beispiel eines Dachgeschossausbaus zu Wohnzwecken. – Diese lässt aufmerken:
Zum einen ist die Begründung für ein Anpassungsverlangen in Vermischung mit einem Baugesuch lückenhaft, da sie sich nur auf eine geänderte materielle Anforderung beruft, ohne die Besonderheit der Gefahr in diesem Einzelfall hervorzuheben. Hierzu gibt es eindeutige Rechtsprechungen. Zum anderen verbietet sowohl der aktuelle § 44 Abs. 6 NBauO als auch die Rücknahme des § 85 Abs. 3 NBauO (20%-Regel) bei Schaffung von Wohnraum Anpassungs-wünsche sogar für den antragsgegenständlichen Bereich.
Die Brisanz dieser Herleitung geht jedoch viel tiefer: Nach dieser Argumentation wäre jedes vor dem Jahr 2023 rechtmäßig errichtete Gebäude oder Bauteil eine Gefahr für Leib und Leben und im Fall eines Brandes eine konkrete Gefahr. Der sich aus Art. 14 GG ergebende Bestandsschutz wäre hiernach Makulatur.
Wirkung
Wenn also Gesetze, Gesetzesänderungen und selbst Gerichtsurteile keine lenkende Wirkung entfalten, zumal wenn hieraus keinerlei Konsequenzen folgen, stellt sich eine grundlegende Frage: Wer wäre in der Position, für eine Einheit des Verwaltungshandelns zu sorgen, so dass Anforderungen ohne hinreichende Rechtsgrundlage gar nicht erst einstellt werden?
Dass es sich bei dem von uns kritisierten Verwaltungshandeln nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelle Probleme mit weitreichenden Zeit- und Kostenfolgen handelt, wurde dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz (MU) schon in einem Schreiben vom 18.01.2020 anhand 24 ausgewerteter Fälle und dreierlei Arten der Handhabungen des Verwaltungshandelns dargelegt:
- Das Bypass-Verfahren: Der Verweis auf nachrangige Stellen, um sich dort zu einigen.
- Das 1:1-Verfahren: Das unkritische Einstellen von Stellungnahmen nachrangiger Stellen in die Baugenehmigung, Copy & Paste.
- Maximalforderungen: Das Vermischen des Antragsgegenstandes mit bis zu 120 Wünschen zu Anpassungen für den nicht antragsgegenständlichen Bereich [1].
Die daraufhin vom MU am 24.02.2020 erfolgende Antwort, dass es eben nicht Aufgabe von Brandschutzdienststellen sei, über Belange des vorbeugenden Brandschutzes zu entscheiden, war zwar ermutigend, blieb mangels Konsequenzen aber bislang ohne Wirkung [2].
Und so werden nicht nur in Niedersachsen Planer, Bauherren und Bauherrinnen, außerhalb des hierfür vorgesehenen Verfahrens, weiterhin zu Einigungen an Brandschutzdienststellen verwiesen, deren Wünsche ohne Prüfung auf deren Rechtmäßigkeit 1:1 in Baugenehmigungen eingestellt, bzw. mit Maximalforderungen (Neubaustandard) konfrontiert, wodurch aus jedem „vereinfachten Verfahren“ ein kompliziertes Verfahren wird.
Da derartige Handhabungen auch durch Wiederholungen nicht richtiger werden und sich die hierbei zugrunde liegenden Sachfragen innerhalb zeitkritischer Verfahren jeglichem sachlichen Diskurs entziehen – der Bauherr ist vor die Alternative gestellt, unnötige Anforderungen und den damit verbundenen Aufwand entweder zu akzeptieren oder auf sein Vorhaben zu verzichten – werden die dahinter liegenden Prämissen seit 2021 im Format Mythen des Brandschutzes im FeuerTrutz-Magazin regelmäßig hinterfragt und einem öffentlichen Diskurs zugeführt.
Zahlreiche Rückmeldungen bestätigen die dort geschilderten Erfahrungen, was unreflektiert leider auch diejenigen diskreditiert, die im pflichtgemäßen Ermessen für einen angemessenen Umgang mit dem Bestand stehen und von denen wir lernen können.
Der Flaschenhals der Genehmigungen
Solange Bauantragsverfahren weiterhin dazu verwandt werden, Anpassungsverlangen für den vormals genehmigten Bestand beizumischen und/oder Beantragungen untergesetzlicher Regelungen einzufordern, welche in den landesrechtlichen Vorschriften nicht verankert sind (Anpassungen, Rettungsraten, etc.), ist eine derartige Schlechterstellung gemäß Art. 14 des GG gegenüber denjenigen, die nichts tun und sich auf Bestandschutz berufen können, nicht zu rechtfertigen. Auch die Fälle fingierter Rücknahmefiktionen nach § 69 (3) MBO entziehen sich selbst den grundlegendsten Prinzipien unserer Rechtsstaatlichkeit und tragen erst recht nichts zur Erreichung der Wohn- und Klimaziele bei.
Ihre Empfehlungen, unser Anliegen für einen angemessenen Umgang mit dem Bestand gerichtlich zu klären, erscheint uns daher eher dazu geeignet, dass sich Fronten weiter verhärten und dass in Umkehrung der Beweislast den Bauwilligen die Last aufgebürdet wird, die Rechtswidrigkeit von Anforderungen zu beweisen, welche weit über das Baurecht hinausgehen. Für eine neue „Umbaukultur“ brauchen wir dagegen vor allem eine Kultur des Dialogs und handhabbarer Auslegungs- und Handlungsempfehlungen für einen angemessenen Umgang mit dem Bestand.
Solange Bestandsbauten weiterhin als Gefahr für Leib und Leben angesehen werden und Baubehörden ihre Aufgabe darin sehen, jegliches Risiko auszuschließen, bedarf es darüber hinaus vor allem eines öffentlichen Diskurses über das hinnehmbare, im Baurecht eingepreiste und gesellschaftlich akzeptierte allgemeine Lebensrisiko. Ein bundesweit einheitliches Genehmigungsverfahren umzusetzen ist nach unserer Auffassung eine Aufgabe der hierzu legitimierten Legislative, also der in der ARGEBAU vertretenen Bauministerinnen und Bauminister, welche in Personalunion auch die jeweiligen obersten Bauaufsichtsbehörden vertreten. Wer, wenn nicht die ARGEBAU, wäre in der Lage, die Voraussetzungen für ein einheitliches Verwaltungshandelns zu schaffen? Es kann doch nicht sein, dass je nach Bauaufsicht bei gleichen Voraussetzungen mal so und mal so entschieden wird, dieses widerspricht der unabdingbaren Einheit des Verwaltungshandelns.
Wohnungsbau- und Klimaschutzziele
Zur Erreichung der von der Bundesregierung vorgegebenen Wohn- und Klimaschutzziele erachtet es das DIvB daher für erforderlich, auf Bundesebene entsprechende Auslegungs- und Handlungsempfehlungen zu geben, von denen ähnlich wie von der MBO eine Signalwirkung auf die Länder ausstrahlen würde, um:
- insbesondere das „vereinfachte Verfahren“ auch in der täglichen Genehmigungspraxis wieder zu vereinfachen,
- die Beteiligung nachrangiger Stellen auf das erforderliche Minimum zu beschränken,
- untergesetzliche Regelungen kritisch zu hinterfragen und sukzessive abzubauen,
und letztendlich, um den Behörden Entscheidungshilfen an die Hand zu geben sowie Rechtsklarheit zu schaffen, insbesondere für den Umgang im vormals genehmigten, also legalen Bestand. Hierzu verweisen wir auf unseren sogenannten Entscheidungsbaum aus unserem letzten offenen Brief [3].
Vorbildfunktion käme hierbei denjenigen Bundesländern zu, die sich mit dieser Thematik schon länger erfolgreich befassen, brennt es doch in diesen Ländern nicht anders als in den anderen. Exemplarisch seien aufgeführt:
- die Thüringer Bekanntmachung – mit das Beste, was hierzu veröffentlicht wurde,
- die Berliner Entscheidungshilfen der obersten Bauaufsicht (EHB),
- der Hamburg-Bauprüfdienst, Brandschutztechnische Auslegungen (BTA,)
- der Vollzug der Bayerischen Bauordnung (BayBO); Brandschutz in bestehenden Gebä
Bereits jetzt tragen derartige Auslegungs- und Handlungsempfehlungen durch die oberste Bauaufsicht viel zur unabdingbaren Einheit des Verwaltungshandeln bei. Wiederkehrende Fragen werden an zentraler Stelle beantwortet. Dies erleichtert die Ermessensentscheidungen und trägt aktuell zu dem im Koalitionsvertrag der Bundesregierung geforderten Bürokratieabbau als auch zur Beschleunigung der Verfahren bei.
Den im Bestand anzuwendenden Maßstab, also das gesellschaftlich akzeptierte allgemeine Lebensrisiko – eingepreist im Baurecht, unter Berücksichtigung des Bestandschutzes nach Art. 14 GG – setzt hierbei stets und ausschließlich die hierzu legitimierte Legislative.
Diesbezüglich verweisen wir exemplarisch auf folgende Artikel des bereits erwähnten Formats Mythen des Brandschutzes, welche sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem gesellschaftlich akzeptierten allgemeinen Lebensrisiko befassen:
- „Brandschutzkonzepte müssen jedes Risiko ausschließen“, [4]
- „Abweichungen sind nicht möglich“, [5]
- „Jede Nutzungsänderung erhöht das Risiko“, [6]
- „Brandschutzdienststellen entscheiden über Belange des vorbeugenden Brandschutzes“, [7].
Bürokratieabbau
Vor allem aber erwarten die Menschen, nicht nur mit immer höheren Anforderungen konfrontiert zu werden, um dann bei der Umsetzung allein im Regen stehen gelassen zu werden. Stattdessen wünschen sie sich auf Bundesebene handhabbare Klarstellungen, wie wir gemeinsam die vorgegebenen Wohn- und Klimaziele erreichen können.
Der ARGEBAU als Schnittstelle zu den Landesbauordnungen kommt aus unserer Sicht hierbei eine besondere Verantwortung zu. Insbesondere zur Hebung des enormen Potenzials grauer Energie geht es vor allem um klare Positionierungen zu folgenden Prämissen als Ermessensgrundlage jeglichen Verwaltungshandelns im Bestand. Hierbei sollte die Ermöglichung von Bauvorhaben im Fokus stehen:
- Darlegung des gesellschaftlich akzeptierten Risikos im Umgang mit dem Bestand.
- Keine Vermischung der Verwaltungsakte (Antragsgegenstand – Anpassungsverlagen).
- Klarstellung der tatsächlichen Zuständigkeiten (zuständig ist, wer unterschreibt).
- Pragmatischer Umgang mit dem Bestand, insbesondere zur Schnittstelle zwischen Alt und Neu.
- Verpflichtende Begründung von Verwaltungsakten nach § 39 Abs. 1 VwVfG.
Der von uns im zweiten offenen Brief vorgestellte Entscheidungsbaum stellt aus unserer Sicht für diese Aufgabenerfüllung der Verwaltung eine verlässliche, hierarchische Struktur dar und kann daher viel zur Orientierung, Vereinfachung der Verfahren, Trennung der Verwaltungsakte, Bürokratieabbau und mehr Rechtsklarheit beitragen [3].
Ein „Weiter so“ können wir uns angesichts der drängenden Probleme am Wohnungsmarkt und mit Blick auf unsere Klimaziele nicht mehr leisten, die Zeit läuft uns gerade davon. Aus diesem Grunde wäre uns an einer zeitnahen und persönlichen Erläuterung unseres Anliegens vor der ARGEBAU sehr gelegen.
Zusammenfassung und Ausblick:
Probleme kann man bekanntermaßen niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind, und ohne, dass wir nun auch noch die Verwaltung mit ins Boot holen, geht gar nichts.
Dafür brauchen wir unabdinglich eine neue Kultur des Dialoges, um deren Unterstützung wir Sie, auch im Namen von A4F, herzlich bitten.
Für Rückfragen steht Ihnen das DIvB gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Ochs
Geschäftsführer
Deutsches Institut für
Vorbeugenden Brandschutz e.V.
Ralf Abraham
Arbeitsgruppe Umbauordnung
Deutsches Institut für
Vorbeugenden Brandschutz e.V.
Verteiler:
ARGEBAU, Fachkommission Bauaufsicht
Bundesbauministerin Frau Klara Geywitz
Die Bauminister und Bauministerinnen der Bundesländer
BAK, BDA-Bund, BDB-Bund
Politiker auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene
Quellen:
[1] Fachaufsichtsbeschwerde an das niedersächsische MU vom 18.01.2020*)
[2] Antwort des MU vom 24-02-2020, mit Darlegung der tatsächlichen Zuständigkeiten **)
[3] Zweiter offener Brief der AG Umbauordnung des DIvB an die ARGEBAU vom 26.06.2023 **)
[4] Mythen des Brandschutzes „Brandschutzkonzepte müssen jedes Risiko ausschließen“ FT-Magazin 02/2021***)
[5] Mythen des Brandschutzes „Abweichungen sind nicht möglich“ FeuerTrutz-Magazin 06/2021 ***)
[6] Mythen des Brandschutzes „Jede Nutzungsänderung erhöht das Risiko“ “ FeuerTrutz-Magazin 04/2022 ***)
[7] Mythen des Brandschutzes „Brandschutzdienststellen entscheiden über Belange des vorbeugenden Brandschutzes FeuerTrutz-Magazin 02/2022 ***)
Diese und weitere Quellen finden sich unter:
*) www.brandschutz-im-dialog.com/anfragen-an-die-politik/
**) www.brandschutz-im-dialog.com/anfragen-an-die-bauministerkonferenz/
***) www.brandschutz-im-dialog.com/veroeffentlichungen/
www.architects4future.de/wissen/musterumbauordnung-vorschlage-a4f